Old Girls Networks
Thursday May 29th 2008, 12:58 pm
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– elektronische Mailinglisten und Frauennetzwerke

by Valie Djordjevic

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Schon vor dem Web 2.0 gab es virtuelle Gemeinschaften, manche davon schon ziemlich lange. Seit Mitte der 90er Jahre vernetzen sich Künstlerinnen und Medienarbeiterinnen über Mailinglisten. Obwohl diese nichts weiter sind als ein ziemlich simples Stück Software, das elektronische Nachrichten an eine Gruppe von Leuten weiterschickt, können die Teilnehmer, die manchmal über den ganzen Globus verteilt sind, Netzwerke formen, die über die virtuelle Welt hinaus Bestand haben.

Für eine internationale Medienkunst– und Kulturszene spielten sie in den neunziger Jahren, als das Internet von einem akademischen Netzwerk zu einem Massenmedium wurde, eine große Rolle. Die Mailingliste Nettime etwa ist so etwas wie der Elder Statesman unter den Listen, die sich um die europäische Netzkultur kümmern. Theoretiker, Künstler, Programmierer und Schriftsteller aus aller Welt betreiben dort seit Mitte der neunziger Jahre „Netzkritik“. Andere Listen beschäftigen sich mit Medienkunst in Osteuropa, diskutieren künstlerische Computerprogramme oder die Einordnung von Medienkunst in die Kunstgeschichte.

So wichtig und nützlich diese Listen waren und auch noch sind, die meisten haben ein Problem: Die Frauen fehlen. Nicht dass sie in der Medienkunstszene nicht vorhanden wären. Man sieht sie bei Festivals im Publikum sitzen, auf Ausstellungen Videoinstallationen betrachten, aber sie melden sich nicht zu Wort, auch wenn sie die Listen abonniert haben. Die Gründe dafür sind vielfältig: keine Zeit, weil Beruf und Familie unter einen Hut gebracht werden müssen; kein Interesse an einem männlich geprägten Diskurs, bei dem es auch darum geht, seinen intellektuellen Status zu beweisen; der Glaube, nichts beizutragen zu haben. Weshalb das so ist, darüber kann man spekulieren und wissenschaftliche Untersuchungen schreiben; für viele Medienkünstlerinnen ging es darum möglichst pragmatisch eine Plattform zu finden, auf der sie sich austauschen konnten und erfahren, was andere Frauen in dem Bereich taten.

1996 starteten daher Kathy Rae Huffman, eine US-amerikanische Kuratorin, die in Wien lebte, und die Künstlerin Eva Wohlgemuth ihr Projekt „Face settings“, bei dem sie in verschiedenen europäischen Städten Künstlerinnen, Autorinnen und Technikerinnen zum Abendessen einluden, um der Isolierung von Frauen in der Szene etwas entgegen zu setzten. Erinnernd an Judy Chicagos „Dinner Party“-Installation wurde am Tisch für alle Teilnehmenden ein Gedeck vorbereitet – ein „place setting“ – um der virtuellen Bekanntschaft über das Internet eine persönliche hinzuzufügen. „Face setting“-Dinner gab es in Rotterdam, St. Petersburg, Bilbao, Glasgow, Budapest, Linz und noch einigen Orten mehr. Beim Cyber-Co-Cooking-Event in Bielefeld wurde über eine IRC-Chat-Verbindung gemeinsam mit der Künstlerin Zana Poljakov in Belgrad gekocht.

Aus den Gesprächen bei diesen Treffen und weiteren auf Festival, Ausstellungen und Events wurde schließlich im April 1997 die Mailingliste Faces von Kathy Rae Huffman, Diana McCarty und Eva Wohlgemuth ins Leben gerufen. Die Verbindungen und Beziehungen, die sich in den Treffen ergeben hatten, sollten gefestigt und erweitert werden. Auf der Suche nach einer technischen Betreuerin entstand auch ein Ableger in Berlin, als die Autorin dieser Zeilen, die damals im Kulturprojekt Internationale Stadt mitarbeitete, von den Initiatorinnen angesprochen wurde, ob sie nicht mitmachen wollte.

Faces wurde ein Erfolg – soviel kann man im Rückblick sagen. Freundschaften haben sich gebildet, Projekte wurden angestoßen und organisiert (darunter auch die erste Cyberfeministische Internationale von der Gruppe „Old Boys Network), weitere Abendessen, Open Mike Präsentationen auf Festivals, Online-Diskussionen über den 11. September, den Krieg in Jugoslawien, feministische Ausstellungspraxis fanden statt.

In den elf Jahren des Bestehens der Liste hat sich einiges getan – aber vieles ist auch gleich geblieben. Vor allem die technische Seite ist immer noch stark von Männern dominiert – man gehe nur einmal Ende Dezember beim Chaos Computer Congress – vorbei: Zwischen Hunderten von Geeks und Nerds findet sich eine Handvoll Frauen, die gleich einem Gallischen Dorf der Übermacht trotzen und jedes Jahr wieder ein Häcksen-Center einrichten. Aber auch auf den Kunstfestivals sind es überwiegend männliche Künstler, die gezeigt werden, und auf den Podien sitzen hauptsächlich männliche Experten. Es scheint, dass es einen neuen Anlauf geben muss, Frauen in die Öffentlichkeit zu bringen – ob mit Mailinglisten, Web-Communities oder in guter alter Agitprop-Manier. Die Werkzeuge stehen zur Verfügung.

Die Autorin betreut seit 1997 zusammen mit Kathy Rae Huffman, Diana McCarty und Ushi Reiter die Mailingliste Faces.

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